Kirchenmusik
Sacred Concert von Duke Ellington begeistert Zuhörer
Der süße Rhythmus der Freiheit
Kirche gleicht zeitweise einem Jazzclub - Überschäumender Beifall
Die Kantorei weiß zu überraschen. Mit Bach, mal puristisch, mal vertanzt. Mit Uraufführungen und Zeitgenössischem. Und nun - mit orchestralem Jazz von Duke Ellington. Ein packendes Experiment, dem die Zuhörer in der evangelischen Stadtkirche begeistert folgten.
Manchmal ist es auch der Rahmen, der ein Publikum offen und empfänglich macht. Hier also das Landesmissionsfest mit seinen internationalen Gästen. Und deren Begrüßung hätte in der vollen Stadtkirche auch von Publikumsseite warmherziger kaum sein können. Greifbar wurde so eine Empfindung von Kulturen und Ländergrenzen überspannender Verbindung und Gemeinsamkeit. Vielleicht sogar ein Bedürfnis danach. Mithin also genau jene seelische Schwingung, jenes Bewusstsein, jener Geist, die Ellingtons "Sacred Concert" auf so intensive Weise gestaltet und weckt.
Wobei das Auditorium im sakralen Raum kaum anders agierte als in einem sukzessive heißgekochten Jazzclub. Etwa mit Beifall nach jeder "Nummer". Eine Freiheit freilich, für die man sich aber auch als Publikum erst lockern muss. Und diese Freiheit nahmen sich auch die Mitwirkenden auf selbstbewusste Weise. Denn wenn sich Solisten beim Jazz sonst eher in finalen Sets explizit vorstellen, so durften sie und die Ensembles dies jetzt gleich vorneweg tun.
Mit einem "Tribut to the Duke"-Medley der Bigband Seligenstadt, einem prächtigen Appetithappen, der auf Wucht, Farbigkeit und Finesse der Klangwelt des Duke einstimmte. Und auf dessen Swing! Mit gefühlvoll vorgetragenem Sakral-Pop der Solo-Vokalistin Dania König, einem frühlingshaften, neckischen Kanon des Chores. Und schon die "Typewriter"-Einlage des Stepptanz-Duos Marita Unsner und Kai Kresse ließ ahnen, dass der religiöse Ernst hier keine spaßfreie Zone sein würde.
Auf einem Fundament freilich, über dem die irdischen Freuden erst wahrhaft frei zu leuchten scheinen. So hebt das "Sacred Concert" denn auch mit einem strahlenden "Praise God" an. Mit fettem, sanft ausschwingenden Sound der Big Band, vom Chor-Unisono mit mächtig schwellendem Rubato aufgegriffen. Ein kraftvoll getragenes Gotteslob, dem man schon das spätere Tänzchen zutraut, das aber in einer zauberzarten homophonen Klangschicht zur Ruhe kommt.
Eine Brücke zu jenem Traumhimmel, den die Sängerin Dania König in der "Heaven"-Ballade in langen melodischen Linien berührend sensibel und fast wie eine Art fragilen Zustand imaginiert. Und noch keineswegs jubelnd-selbstgewiss ist auch der Einstieg ins thematische Kernstück des Werkes, in die ausgreifende, fünfteilige "Freedom"-Suite. Eine Art Suche nach dem, was Freiheit meinen könnte, zunächst vor allem im Chor. Mit fein schattiertem A cappella, mit sich mehrenden Crescendi und wachsender Binnenspannung, schließlich mit ordentlich Fahrt überm pulsierenden Swing der Band. Faszinierend zu erleben, wie Ellington hier den Jazz ins große Format treibt, wie er zudem das Thema, in dem auch die emanzipatorische Stoßrichtung der Bürgerrechtsbewegung im Amerika der späten 1960-er Jahre lagert, in einen großen spirituellen Bogen spannt.
Mit einer Musik, die an physisch spürbarer Direktheit und schillernder Farbigkeit kaum zu wünschen übrig lässt. Auch, weil Ellington in dieser Aufführung als kapitaler Klangartist erlebbar wird. In Bläsersätzen etwa, die mächtig brausen oder auch mal wie butterweiche Klangsouffles erscheinen. Und immer wieder von jazzigen Soli akzentuiert, in denen sich die Präsenz dieser Musik stets zu erneuern scheint. Eine dynamische Spannweite, die sich auch in den punktgenauen Klang- und Stimmungswechseln des prägnant, artikulationsklar und flexibel agierenden Chores spiegelt. Mal rezitativisch, mal beatgetrieben, mal choralartig feierlich.
Freiheit wird so zu einem musikalisch unmittelbar greifbaren, "süßen Rhythmus", zu "Zucker und Sahne auf der Glückseligkeit". Universal, Völker und Sprachen umspannend, Verheißung und Gegenwart zugleich: Freedom, Liberta, Uhuru, Svoboda. In dem facettenreichen, klangsinnlich und mit prägnanter rhythmischer Kontur musizierten Werk souverän geerdet und zugleich mit seinem wahren, transzendent-himmlischen Horizont verwoben.
Und das ist denn auch das eigentliche Ereignis dieser Aufführung: Zu erleben, wie sinnfällig The Duke den Jazz mit sakraler europäischer Chortradition paart und dabei seine ganz eigene, unmittelbar packende Sprache pflegt. Schwarze, swingende Gospelmesse und strenge Kirchenmusik in einem. Absolut überzeugend, wie der Projektchor aus Kantorei und Gospelchören dieses musikalische Idiom in großer stilistischer Einheit meistert.
So ersteht das "Concert" in einer Vielgestalt und Dichte, in der nur die Vokalsolistin ein wenig untergeht, vielleicht auch aus technischen Gründen. Aufhorchen ließ auch die strukturelle Klarheit, mit der der junge Arno Krokenberger am E-Piano agierte, und durchschlagend wirkte die Aufführung nicht zuletzt deshalb, weil sich die Band unter Stefan Weilmünster fein in das so entschlossene wie den Swing befeuernde Dirigat von Bettina Gilbert fügte. Mit finalen Soli an Drums und Saxofon, die die Kirche in einen brodelnden Jazzclub verwandelten.
Und wenn David wunderbar leicht vor dem Herrn stepptanzte, dann steigert sich dies im Finale zu einem kollektiven musikalischen Jubel, der auch ein Moment von Ekstase nicht scheute. Entsprechend überschäumend der Beifall - für diese mal ganz andere, aber wiederum sehr vitale Kirchenmusik.
Erscheinungsdatum: 22.05.2009, Copyright Das Blaumännle
Autor: Georg Linsenmann
Kontakt:KMD Bettina Gilbert
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Seit über 10 Jahren ist das Evangelische Gesangbuch in den Gemeinden gut angenommen, doch gibt es noch immer zahlreiche Lieder, Kanons und mehrstimmige Sätze zu entdecken. Dazu gesellen sich Formen improvisierter Mehrstimmigkeit durch einfache "Spielregeln" im Umgang mit vertrauten Chorälen. Ingo Bredenbach, Rektor der Hochschule für Kirchenmusik Tübingen der Evang. Landeskirche in Württemberg, führte auf eine Entdeckungsreise zu einigen Liedschätzen des Gesangbuchs.